– Aschermittwoch
– Häkelkleid
– Spülmaschine
– Christstollen
– Fensterheber
– Notaufnahme
– Pappnase
– Alphabet
– Hirtenhund
– Folterknecht
– Lichtgestalt
– Hinterlassenschaft
– Umzug
– Tränen
Gedankenverloren kaute ich auf den letzten Überresten des weihnachtlichen Christstollens herum und konnte nicht fassen, wie schnell die Zeit vergangen war. Jetzt stand schon Fasching vor der Tür. Karneval – ich hasste diesen Scheiß! Für mich gab es nichts Schlimmeres. An Karneval lernte ich meinen Freund kennen. Ein Jahr später, ebenfalls an Karneval, betrog er mich mit meiner besten Freundin. Man musste nur dieses Wort erwähnen – Fasching – und der ganze Tag war mir versaut. Und jetzt war es schon wieder soweit. Wäre doch nur schon Aschermittwoch und dieses ganze fröhliche Gehabe vorbei.
Zu allem Überfluss zwang mich meine Cousine Daniela jetzt auch noch dazu, mir mit ihr den Umzug anzuschauen. Sie meinte, ich wäre ihr das schuldig, weil sie mich im Jahr davor bei meiner Trauer wegen Benny so unterstützt hatte. Sie wollte nicht alleine gehen, und so musste ich in den sauren Apfel beißen. Ich räumte meine Kaffeetasse und den Kuchenteller in die Spülmaschine und seufzte. Ich würde etwas zum Anziehen brauchen. Nur was? Verdammte Kostümierung! Ich war ja der Meinung, zu Fasching ziehen die Menschen ihre Masken nicht an, sondern aus. Und in dieser Sache konnte mich bisher keiner vom Gegenteil überzeugen.
Ich warf einen Blick in den Kleiderschrank, in dem ich alle außergewöhnlichen Schätze aufbewahrte. Ein potthässliches Häkelkleid stach mir ins Auge – eine Hinterlassenschaft meiner lieben Großmutter. Nein, das wohl eher nicht. Mir war weder nach Cowgirl, noch nach Böse Hexe zumute und ich war schon kurz vorm Verzweifeln, als mir mein altes Dirndl ins Auge stach. Das wäre doch mal was! Sexy, aber nicht verrucht, Kostüm, aber dennoch realitätsnah. Ich nahm es hervor und zog es an. Es passte noch und nachdem ich die High Heels darunter anhatte, bewunderte ich meine Beine im Spiegel, die in dem schwingenden Minirock endlos wirkten.
„Hübsch“, flüsterte ich und errötete sogleich über meine schamlose Selbstverliebtheit. Als ob mich jemand gehört hätte!
Im Bad schminkte ich mich und band meine langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Ich hätte mir auch Zöpfe flechten können, aber soweit reichte meine Liebe zur Detailgenauigkeit auch nicht. Endlich fertig! Ich schnappte meine Handtasche und ging schon mal vor die Tür, um auf meine Cousine zu warten. Endlich fuhr sie vor und per automatischem Fensterheber ließ sie das Beifahrerfenster herab.
„Hey! Bereit für ein bisschen Spaß?“, brüllte sie mir entgegen und ich hasste sie schon jetzt wegen ihrer Fröhlichkeit.
Hab ich schon erwähnt, wie sehr ich Karneval ablehnte?
„Mein Gott, kannst du auch mal ein anderes Gesicht machen?“, maßregelte mich Daniela und ich stöhnte.
„Du bist ein richtiger Folterknecht, weißt du das?“, brummte ich, und sie grinste.
„Jetzt stell dich mal nicht so an. Wir werden Spaß haben. Freu dich doch mal!“
„Ja, du mich auch!“
Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Wir parkten in der Nähe der Hauptstraße, durch die der Zug sich durchschlängeln würde. Danach suchten wir uns einen Platz, von dem aus wir gut sehen konnten. Musik ertönte aus allen Ecken und die Menschen schunkelten, was das Zeug hielt. All diese Pappnasen und ihre aufgesetzte Fröhlichkeit. Ich verabscheute dies alles und hoffte, dass der Zug schnell vorbei sein würde.
Endlich tauchte der erste Wagen auf und die Menschen stürmten nach vorne, um die Bonbons aufzuheben, die geworfen wurden. Omas traten Kindern auf die Hände, es wurde gerempelt und gestoßen. Furchtbar! Als wenn sie das ganze Jahr über sonst nichts bekommen würden. Ich selbst bemühte mich lediglich, den Wurfgeschossen aus dem Weg zu gehen, um nicht am Kopf getroffen zu werden. Ich bekam es ganz gut hin, doch plötzlich fühlte ich einen mächtigen Stoß in meinem Rücken.
„Scheiße, was …“
Viel weiter kam ich nicht mehr, denn der Rempler war wirklich heftig. Ein falscher Schritt in den hohen Absätzen und ich knickte zuerst schmerzhaft um, bevor ich der Länge nach hinschlug. Noch im Fallen registrierte ich den riesigen Hirtenhund, der mich wohl angesprungen hatte, doch dann knallte ich mit dem Kopf auf den Bordstein, und um mich herum wurde es dunkel.
„Hey, aufwachen“, hörte ich eine Stimme, die mir gänzlich unbekannt war.
Eine Hand streichelte über meine Wangen, und ich konnte überhaupt nicht einordnen, was passiert war. Ich zwang mich, die Augen zu öffnen, und sofort schoss mir ein übler Schmerz durch den Knöchel. Mir traten die Tränen in die Augen.
„Hey, alles klar? Wie viele Finger siehst du?“, fragte die Stimme.
„Zwei“, antwortete ich, ohne es wirklich zu realisieren.
„Sag mal das Alphabet auf“, forderte sie nun und ich grinste verächtlich.
„Bin ich in der Schule oder was?“
Ich hob den Kopf, und endlich erfasste ich ein Gesicht zu der Stimme. Oh Gott, ich war tot und im Himmel! Zwei grau-blaue Augen blickten mich an, und ein Lächeln wie von einem anderen Stern strahlte mir entgegen. Das musste ein Engel sein, oder irgendeine andere Lichtgestalt, und er hielt mich in seinen Armen.
„Hallo, da ist sie ja wieder“, hauchte er mir leise zu und ein einzelnes Grübchen bildete sich auf seiner Wange.
Ich betrachtete ihn. Er trug eine schwarze Lederjacke und hatte seine noch schwärzeren Haare zu einer Tolle gedreht, die ihm wild ins Gesicht fiel.
„Cry Baby Walker“, flüsterte ich nur, in Erinnerung an den Film mit Johnny Depp. Es fehlte nur noch die tätowierte Träne unter seinem Auge.
„Was?“, lächelte er.
„Nichts, ich …“
Ich versuchte aufzustehen, aber es war unmöglich. Der Schmerz im Fuß ließ es nicht zu.
„Oh Gott, Liz, was hast du bloß wieder angestellte?“, keifte mir nun auch noch meine Cousine ins Ohr.
Was sollte ich antworten? Ich wusste es ja nicht wirklich genau.
„Ich werd dich in die Notaufnahme bringen“, grummelte nun mein „Retter“ und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, das wird schon gehen“, protestierte ich und versuchte erneut, aufzutreten, aber es ging nicht.
„Keine Widerrede“, entgegnete er, und bevor ich mich versah, hob er mich in seine starken Arme. „Ich heiße übrigens Marco“, stellte er sich vor.
„Lisa, aber alle nennen mich Liz“, antwortete ich und klammerte mich an ihm fest. „Wie ist das überhaupt passiert?“, wollte ich wissen und er errötete leicht.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dir das sagen soll. Ich kann nur betonen, dass es mir wahnsinnig leid tut.“
„Was denn?“
Er presste die Lippen zusammen und drehte sich langsam um.
„Darf ich vorstellen, Rufus.“
Ich sah nach unten und erkannte den Wolfshund wieder. Jetzt verstand ich es.
„Das ist deiner?“
„Ja, und er hasst Karneval. Irgendjemand hat einen Böller gezündet, da hat er sich wohl erschrocken. Ich kann mich nur immer wieder entschuldigen.“
Rufus betrachtete mich mit einem Blick, der Steine erweichen ließ.
„Schon gut, ich kann ihn verstehen. Ich mag das hier auch alles nicht. Vielleicht dachte er, er hätte eine Seelenverwandte gefunden“, lächelte ich.
„Wie auch immer, ich bring dich erst mal ins Krankenhaus.“
Daniela protestierte kurz, aber Marco ließ sich nicht erweichen. Er trug mich den ganzen Weg bis zu seinem Auto und brachte mich in die Klinik. Mein Fuß wurde geröntgt, doch er war zum Glück nur verstaucht und nicht gebrochen. Als man mich zurück ins Wartezimmer brachte, saß Marco immer noch dort und wartete auf mich. Er war froh zu hören, dass es mir soweit gut ging.
„Darf ich dich zur Entschädigung zu einem Abendessen einladen?“, fragte er und ich nickte erfreut.
„Gerne“, antwortete ich, und verließ mit ihm das Krankenhaus.
Übrigens, heute sind wir ein Paar. Ich hatte mich Hals über Kopf in Marco verliebt, und er sich in mich, wofür wir beide Rufus immer noch dankbar sind.
„Schatz, bist du soweit?“, höre ich Marco rufen und ich richte mein Feen-Kostüm – blöde Flügel!
„Ja, ich komme sofort. Nicht, dass der Kostümball ohne uns anfängt!“
Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, wie sehr ich Karneval liebe?“
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