Autorentag mit Thordis Hoyos, Runde 4


Ach ja und nun kommt schon mein letzter Beitrag dieses Autorentages für euch. Ich hoffe, dass es euch bisher viel Spaß gemacht hat und ihr auch viel über Thordis und ihre Bücher erfahren konntet. Doch Thordis und ich möchten diesen Tag nicht einfach nur so ausklingen lassen. Nein, die liebe Thordis hat mir für euch eine Kleinigkeit zukommen lassen und daraus möchte ich nun ein kleines Gewinnspiel für euch machen. 
Was hätte ich denn da für euch? *schmunzel 
Ich habe für euch Band 1 der Stonebound-Reihe als Taschenbuch hier liegen und das sucht nun ein neues zuhause. Wer also Lust hat und es gewinnen möchte, der sollte nun einfach mal hier die Leseprobe daraus gut durch lesen.
Leseprobe:
Prolog
Ruckartig öffnet sie die Augen — entsetzt, erschrocken. Wagt es nicht, sich zu bewegen. Hält den Atem an. Adrenalin schießt durch ihre Adern. Der Geist will ihr entspringen. Der Körper ist wie er­starrt. Gespannt. Versteinert.
Sie versucht, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Durch die Finsternis zu sehen. Die Lunge presst und pumpt. Das Herz springt und pocht. Klopft und hämmert. 
Sie tastet um sich. Spürt die Wärme der Bettdecke. Nur ein Traum? 
Sie fürchtet sich vor dem Griff zum Lichtschalter. Der Körper will noch nicht. Liegt ganz still und starr. Während sich ihre Atmung allmählich beruhigt. 
Sie setzt sich auf und holt tief Luft. „Tristan“, flüstert sie. 
„Tristan?“ Etwas lauter. 
Sie atmet wieder schneller. Will seinen Namen schreien. Hält die Luft an. Ihr Brustkorb brennt — droht zu zerspringen.
Sie greift neben sich. Nichts. Ein Traum. 
Und doch fühlt sie die Wärme seiner Nähe. Ein sanftes Glühen auf ihrer Haut. Niemals wird sie sich daran gewöhnen…
Vorsichtig dreht sie am Schalter der Lampe neben dem Bett. Schleichend langsam wird es heller. Und mit dem Licht schwindet das Gefühl seiner Nähe. Ganz sachte. Entweicht wie ein warmer Nebeldunst. Zieht von ihr weg und schleicht aus dem Zimmer. Unter dem Türspalt hindurch. Und ist fort. Erloschen. Ein weiteres Mal.
Die Erinnerung bleibt. Spielt ihrem Herz immer und immer wie­der einen grausamen Streich. Und da ist es erneut: dieses Gefühl. 
Leidenschaft, Verzweiflung, Liebe, Enttäuschung vereinen sich zu einem brennenden Knoten. Er drängt empor, schnell und scharf. Brennt und pocht. Droht, ihre Brust zu sprengen. 
Tristan. 
Ganz still. In ihrem Kopf. Die Lippen wagen es nicht, sich zu be­wegen. Die Stimmbänder wollen sich nicht formen. Es hat ja doch keinen Sinn. Der Körper schützt das Herz.
Die Erinnerung verdrängt das intensive Gefühl des Traums. Die Vergangenheit ersetzt die Gegenwart. Der Schmerz wird dumpfer und zieht sich zurück. Zieht sich zusammen. Nach innen in diese dunkle Ecke ihres Körpers. Er wird vergehen.
Tristan! 
Der Nebel will zurückströmen in jede Faser. Will bis in die Spit­zen ihrer Finger drängen. Bis das Herz zerbirst.
Steh auf! Der Geist schützt den Körper. Steh auf! Beweg dich. Tu es! Jetzt! 
Fast hört es sich an wie seine Stimme. Doch der Verstand lässt sich nicht länger täuschen. 
Sie weiß es längst: aufstehen, Fenster öffnen, Musik anstellen, weitermachen. 
Sobald der Körper sich bewegt, immer weiter in eine Richtung, verzieht sich der Schmerz. Krümmt sich. Kauert sich zusammen in dieser dunklen Ecke. Ganz tief unten im Verborgenen. Und lauert dort. Wartet geduldig. Wartet. Auf seine Zeit. Auf die Dunkelheit.
In der Finsternis schürt er seine Kraft. Im Schwarz gewinnt er Energie. In der Nacht.
***


1

»Elba!«
Die Stimme der Großmutter hallte durchs Haus. Melodisch und warm. Als würde sie singen.
»Elba, Kind, komm zu uns herunter!«
Erleichterung strömte durch Elbas Herz, als sie die Stufen hinabstieg. Das vertraute Knarren von Holz unter ihren Füßen. Der herrliche Duft nach frischem Brot. Sofort war alle Wehmut verflogen, und ein Gefühl der Geborgenheit umhüllte sie.
In der Küche stand die Großmutter vor dem Ofen, das er-graute Haar zu einem lockeren Knoten gebunden, eine Koch-schürze über dem Kleid. Kaffeearoma erfüllte die Luft. Der Tisch war hübsch gedeckt. Schlicht. Mit Wiesenblumen und altem Geschirr. Silbernes Besteck umrahmte die zarten Porzellanteller auf der handbestickten Tischdecke. Inmitten filigraner Tassen stand eine Vase mit weißen Margeriten und rotem Mohn.
Elba ging am Tisch vorbei zu ihrer Großmutter.
»Guten Morgen, mein Schatz.« Sanft legte die alte Dame ihre weiche Hand an Elbas Wange, lächelte und strich ihr über das lange braune Haar. »Dein Kaffee steht auf dem Tisch, schwarz, mit Zucker.«
Wie jeden Morgen.
Durch das kleine Fenster der Küche erhellte die strahlende Morgensonne den Raum. Draußen auf der hügeligen Wiese wiegten sich die Blumen in der leichten Morgenbrise. Noch war es still. Der Tag hatte gerade erst begonnen.
Und es würde ein ganz fantastischer Tag werden. Für den Abend hatten sie eine Party geplant. Sie – Elba Teofinsen – und ihre Freunde. Sie wollten feiern, dass ein neuer Lebensabschnitt begann und ein alter nun vorüber war. Die neu gewonnene Freiheit nach dem Schulabschluss, den ruckartigen Sprung, mit dem sie jetzt ganz eigenverantwortlich handelten, und die neuen Pflichten und Rechte, die mit der Volljährigkeit, dem Erwachsensein und dem lang ersehnten Ende der Kindheit verbunden waren. Da traf es sich geradezu perfekt, dass heute der Sonnwendtag anstand. Welch ein Symbol für ihre ganz persönliche Wende! Sofort waren sie sich einig gewesen, dass es gar keinen besseren Zeitpunkt für ihr Vorhaben geben konnte.
Gut gelaunt lächelte Elba die Großmutter an und trat zum Frühstückstisch. Ihr kastanienfarbenes Haar schimmerte in der Sonne. Als sie sich auf ihren Platz setzte, kam der Großvater herein. In einer Hand hielt er die zusammengefaltete Tageszeitung, die er eben hereingeholt hatte. Mit freundlichen grauen Augen spähte er spitzbübisch über die Gläser seiner Lesebrille hinweg, als er Elba anlächelte.
Unwillkürlich lächelte sie zurück. »Guten Morgen.«
Sie hatten einander immer schon ohne viele Worte verstanden. Mit einem fröhlichen »Guten Morgen« zwinkerte er ihr zu und ging zur Großmutter, um ihr ein Küsschen auf die Stirn zu hauchen. Dann setzten sich die beiden zu Elba an den Tisch.
Gedankenverloren nippte sie an ihrem Kaffee. Es gab keinen Grund, sich zu sorgen oder zu ängstigen. Alles nahm seinen gewohnten Lauf. Der Großvater las in der Zeitung, die Großmutter schmierte Brötchen, und sie selbst wartete darauf, dass das Koffein ihren Körper auf Trab brachte.
Für eine Weile aßen sie schweigend. Schließlich faltete der Großvater die Zeitung zusammen und legte sie neben sich auf den Tisch. Elba kam es so vor, als beobachtete er seine Frau schon eine ganze Zeit lang, auch jetzt wandte er den Blick nicht von ihr ab. Sein Gesichtsausdruck war mild und dennoch ernst. Als wäre er drauf und dran, ein Thema anzuschneiden, das ihm schwer im Magen lag.
War etwas nicht in Ordnung? Wich die Großmutter seinen Blicken aus? – Aber das musste sie nicht verstehen, dachte Elba. Alles war gut. Wie immer. Sie schaute in ihre Tasse. Noch zwei Schlucke, dann würde das weiße Porzellan unter der braunen Brühe zu sehen sein.
»Wir müssen es ihr sagen.« Der Großvater sprach bedacht und ruhig und ließ seine Frau dabei keinen Moment aus den Augen. »Helene, sie muss es erfahren.«
Also doch! Elba sah auf.
Erst jetzt erwiderte die Großmutter seinen Blick. »Ed …«, flüsterte sie eindringlich. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. War es Besorgnis? Angst?
Aber Edwin ignorierte ihren Versuch, das Gespräch abzuwenden. Stattdessen blickte er Elba nun direkt an.
»Meine Kleine, es ist so …«, begann er zögerlich.
Elba richtete sich auf und holte tief Luft. Aus dem Augen-winkel nahm sie das Gesicht der Großmutter neben sich wahr. Wüsste sie es nicht besser, sie hätte schwören können, dass tat-sächlich ein Ausdruck der Beunruhigung darauf lag. Aber das konnte nicht sein! Ihre Großmutter war stets voller Gleichmut. Stark und ausgeglichen. Jede schlechte Nachricht nahm sie mit Ruhe auf, jedem noch so schlimmen Ereignis vermochte sie etwas Positives abzugewinnen.
»Elba.« Die Stimme des Großvaters klang jetzt entschlossen. »Es ist so, dass unsere Mathilda, deine Tante Mattie, krank ist. Schwer krank, um ehrlich zu sein.«
Elba saß reglos da. Sie sah ihrem Großvater nur ins Gesicht und versuchte, in seinen Augen zu lesen.
Tante Mattie war also krank. Sie kannte die Tante eigentlich kaum. Natürlich war sie als kleines Kind einige Male bei ihr zu Besuch gewesen und hatte in dem großen alten Haus gespielt. In ihrer Erinnerung erschien es ihr ein wenig düster. Ja, fast schon geheimnisvoll, auch wenn wohl immer die Sonne geschienen hatte in diesen Sommermonaten in ihrer Kindheit.
An den großen Garten vor dem Haus hatte sie die wunder-barsten Erinnerungen. Zusammen mit Christian, einem gold-blonden Jungen aus der Nachbarschaft, war sie zwischen den riesigen Bäumen hindurchgehuscht, hatte Verstecken gespielt oder Fangen und die fantastischsten Abenteuer erlebt. So unbeschwert und leicht waren die Gedanken an diese Zeit, dass sie sich darin verlor. Die Worte des Großvaters verblassten …
Einmal hatte Christian ihr eine Krone aus Blättern gebastelt. Er hatte ihre Hand gehalten und sie zur Königin des Eichenreichs erklärt. Schon damals, als kleines Mädchen, hatte sie seine Gefühle in den fröhlichen Augen erkannt: Er war verliebt in sie. Es war ganz natürlich gewesen, ein wunderschönes Königspaar hatten sie abgegeben: Er mit seinem strohblonden Haar, den tiefgrün leuchtenden Augen und dem hellen Teint, und sie, die Dunkelhaarige mit hellbraunen Augen und sanft geschwungenen roten Lippen. Wie im Märchen.
Doch rückblickend hatte Elba schon oft überlegt, wie es so et-was überhaupt hatte geben können. Wie war es möglich gewesen, bereits in jüngster Kindheit solch große Gefühle zu entwickeln, wenngleich sie sich doch von den heutigen unter-schieden? Sie waren viel ehrlicher, selbstverständlicher und ohne jeglichen Schmerz gewesen – gut und rein, und vor allem eines: einfach …
Sie versuchte, sich wieder auf das Gesicht des Großvaters zu konzentrieren. Seine Lippen bewegten sich, aber sie hatte kein einziges Wort verstanden, seit sie in ihre Vergangenheit abgetaucht war.
Ein wenig schämte sie sich jetzt, dass sie ihm nicht zugehört hatte. Es schien ihm wirklich wichtig zu sein. Auch wenn es ihr selbst nicht besonders naheging, dass die alte Tante krank war, so erkannte sie doch den müden Schmerz in den Augen ihres Gegenübers. Und ein wacheres Gefühl: Besorgnis.
Dennoch begriff sie nicht ganz, weshalb er so behutsam mit ihr sprach. Und warum war die Großmutter deshalb so aufgewühlt?
»Elba? Kind!« Der Großvater berührte ihren Arm. Wie benommen blickte sie auf seine Hand.
»Für uns war es auch ein Schock«, fügte er hinzu und sah hilfesuchend zu seiner Frau.
Es war ihm also nicht aufgefallen, dass Elba gar nichts mit-bekommen hatte – dass sie abgedriftet war.
»Was hat Tante Mattie?«, fragte sie schließlich und hoffte, dass er die Erklärung nicht bereits gegeben hatte.
»Nun ja, wie gesagt, sie ist alt. Sie –«
»Ihre Lebensenergie scheint verbraucht zu sein, mein Schatz«, unterbrach ihn die Großmutter.
Sie stirbt also, dachte Elba. Eine Verwandte liegt im Sterben, und mich berührt das in keiner Weise. Die Schwester meines Großvaters, den ich über alles liebe, stirbt. Und ich fühle nichts. Kein bisschen. Was stimmt denn nicht mit mir?
»Verstehst du, Elba?«, hakte die Großmutter nach.
»Ich denke schon«, erwiderte sie leise und wich ihrem Blick aus. Die Großmutter würde sich nicht täuschen lassen. Die beiden waren so bedacht darauf gewesen, ihr diese Nachricht schonend beizubringen. Elba fühlte sich schuldig. Arme Groß-eltern. Stets nahmen sie nur das Beste von ihr an.
»Wir müssen zu ihr fahren, Elba. Heute noch. Nach Leb-stein«, hörte sie die Stimme des Großvaters.
Noch immer saß sie wie abwesend auf dem Stuhl. Ihr Blick glitt über den Frühstückstisch, während sie in sich hinein-horchte, auf der Suche nach einer ähnlichen Betroffenheit wie der ihrer Großeltern. Erst als sie aufsah, dämmerte ihr, was ihr Großvater da gerade gesagt hatte: Auch sie würde fahren! Die beiden wollten, dass sie mitkam. Ans Sterbebett von Tante Mattie. In das Haus aus ihrer Erinnerung. An diesen geheimnisvollen Ort. Nach Lebstein.
Aber: die Sonnwendfeier!
Dieser Gedanke kam so abrupt, dass sie damit beinahe laut herausgeplatzt wäre. Oder hatte sie ihn etwa laut ausgesprochen?
Eine unangenehme Röte stieg in ihre Wangen. Blitzschnell ließ sie den Blick zwischen den Großeltern hin- und herwandern. Keine Reaktion – Gott sei Dank!
»Natürlich«, sagte sie leise. Sie war traurig, aber nicht wegen ihrer Tante Mattie. Heute Abend wären sie alle da gewesen: all ihre Freunde aus der Schule. Schon nachmittags hätte sie sich mit ihren Freundinnen getroffen und alles für die Party eingekauft. Dann hätten sie sich gemeinsam dafür zurechtgemacht. In Hannas großem Badezimmer, mit einem Drink und jeder Menge Make-up. Von Sophias Smartphone hätten sie ihre Lieblingssongs abgespielt, sich über Jungs unterhalten und darüber, wie spektakulär der Abend wohl laufen würde. All das würde sie nun versäumen. Die Party würde ohne sie stattfinden. Was für eine Enttäuschung! Sicher auch für ihre Freunde. Sie beschloss, ihnen später eine Nachricht zu schreiben, jetzt war keine Zeit mehr dafür. Plötzlich hatten die Großeltern es furchtbar eilig.
Schnell packte sie eine kleine Reisetasche, setzte ihre feine rote Sommermütze auf, klemmte sich eine leichte Jacke unter den Arm und machte sich auf den Weg zu Großvaters silbernem VW Tiguan.
Von der Diele aus nahm sie im Vorbeigehen wahr, wie die Großmutter im Wohnzimmer den gewölbten Deckel der großen antiken Holztruhe schloss, in die Elba nie einen Blick hatte werfen dürfen, und ihre Handtasche darauf ablegte.
Was hatte sie denn vor? Wollte sie die Truhe mit zu Tante Mattie nehmen? Ein seltsames Gefühl beschlich Elba, ein Gefühl, das sie nicht zu deuten vermochte.
Ein paar Minuten später waren sie auch schon unterwegs. Die aufwendig verzierte Holztruhe mit den eindrucksvollen Eisenbeschlägen war nun hinter Elbas Sitz im Kofferraum des kleinen Geländewagens verstaut. Sie konnte ihre Anwesenheit hinter sich förmlich spüren. Eigentlich wollte sie die Großmutter fragen, was sich in der Truhe befand, aber aus irgendeinem Grund tat sie es nicht.
Zum ersten Mal in ihrem Leben nahm sie eine gewisse Distanz zwischen sich und den Großeltern wahr. Eine seltsame Barriere. Sie hatten einander immer alles sagen können, und Elba hatte sich niemals geschämt, mit all ihren Problemen und Sorgen zu ihnen zu kommen. Doch nun hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass etwas vor sich ging, wovon sie nichts wusste. Etwas, von dem die Großeltern sie ausschlossen. Und sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt etwas davon wissen wollte. Ob sie wahrhaben wollte, dass irgendetwas sie trennte. Sie spürte die Veränderung, aber noch war sie nicht bereit dafür. Also schwieg sie.
Stattdessen nahm sie das Handy aus der Tasche und begann, ihren Freunden zu texten. Sie schluckte. Der Gedanke daran, was sie heute alles verpassen sollte, schnürte ihr die Kehle zu.
Als sie die letzte SMS verschickt hatte, stieß sie die Luft aus, stellte das Handy auf »Lautlos« und verstaute es wieder in ihrer schwarzen Ledertasche. Sie lehnte sich zurück und ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen. Nach einer Weile schlief sie ein.
Als sie wieder aufwachte, sauste gerade das Ortschild Lebstein an ihnen vorbei. Sie richtete sich auf.
Schon passierten sie die ersten Häuser des Dorfes. Erstaunt stellte Elba fest, dass sich seit ihrer Kindheit hier nicht viel verändert hatte. Das Dorf mit seinen kleinen, entzückenden Häuschen wirkte ebenso verschlafen wie in ihrer Erinnerung. Nur dass heute die großen Fichten am Straßenrand feierlich geschmückt waren, mit Blumengirlanden und allerlei anderem offenbar selbst gebasteltem Schmuck. Am Ende der Straße waren einige Leute auf Leitern damit beschäftigt, Lichterketten an den Ästen zu befestigen. Sie lachten und unterhielten sich fröhlich.
Wie friedlich, dachte Elba, und ein Gefühl von Leichtigkeit strömte zurück in ihr Herz. »Warum schmücken sie denn die Bäume?«
»Ja, hast du das denn vergessen, Schätzchen?« Die Großmutter drehte sich zu ihr um und lächelte sie an. »Das Johannisfest steht doch vor der Tür – das Mittsommerfest! Bestimmt werden wir auch noch Vorbereitungen für das ein oder andere Feuer sehen.«
Natürlich, das Sonnwendfeuer.
Auf dem Land wurde noch nach alten traditionellen Bräuchen gefeiert. Die ganze Gemeinde half mit. Heute Nacht würden die Bäume in bunten Farben leuchten, die Kinder singend von Baum zu Baum ziehen, und an kleinen Ständen würden Kakao und Kuchen angeboten werden. Am alten Rathausplatz würde ein riesiger Kranz hängen – geflochten aus Zweigen und Laub, geschmückt mit Blumen und Bändern und mit Rosen aus Seidenpapier: die Johanniskrone, von Kerzen erleuchtet. Und die Erwachsenen würden in ihrer Festtagstracht darunter tanzen, bis in die Morgenstunden.
Eine schöne Tradition, fand Elba. Als sie den Ortskern verließen, drehte sie sich noch einmal um und blickte zurück. Absolut undenkbar, dass hier jemals etwas Böses geschehen könnte.
Irgendwann endete der Asphalt, und der Geländewagen des Großvaters rumpelte über eine breite, geschotterte Forststraße, die weiter vorn in die Auffahrt von Tante Matties Haus münden sollte.
Das Haus lag ein ganzes Stück vom Ort entfernt. Elba sah großflächige grüne Wiesen vorbeiziehen, und am Horizont baute sich ein mächtiger Wald mit geradezu überdimensional erscheinenden Bäumen auf. Vor dem Wald ging der Forstweg nach rechts ab. Von dort aus war das Haus bereits in der Ferne zu sehen.
Ein klammes Gefühl beschlich Elba. Zugleich verspürte sie eine gewisse Aufregung. Sie hatte ganz vergessen, wie schön und wild romantisch die herrlich große, freie Gartenanlage war. Auf der Wiese wucherten Blumen und Moos zwischen kräftigen Eichen, die hellgrüne Blätter trugen, und immer wieder ragten vereinzelte wilde, weiße Rosen aus dem Wiesenmeer. Je näher sie dem Haus kamen, desto mehr Blüten konnte Elba ausmachen. Wahrscheinlich waren sie das Einzige, das hier von Menschenhand angepflanzt worden war.
Das Haus selbst wirkte ungeheuer groß, war jedoch eher hoch als breit. Mit seinen spitzen Türmchen und den verschnörkelten Fensterläden erinnerte es ein wenig an ein verwunschenes Märchenschloss, an dessen Gemäuer die Zeichen der Zeit nicht spurlos vorübergegangen waren: Die einst blau-graue Fassade war verblasst, und der Putz bröckelte an einigen Stellen ab. In dem Beet, das sich entlang der gesamten Hausfront zog, wuchsen unzählige weitere weiße Rosen, deren Triebe die Mauer emporkletterten. Auch einige der zarten Rosenblüten hatten sich mit in die Höhe gekämpft. Ein zauberhaft idyllischer Anblick.
Elbas Herz klopfte heftig in ihrer Brust, als sie erkannte, dass Onkel Hinrik, Tante Matties Mann, schon vor der geöffneten Haustür wartete. Wahrscheinlich hatte er ihren Wagen bereits kommen sehen.
Hinrik stammte eigentlich aus Skandinavien – Elba konnte sich nicht mehr daran erinnern, woher genau –, was man ihm auch auf den ersten Blick ansah. Obwohl sein volles blondes Haar bereits einen leichten Grauschimmer hatte, wirkte er, schlank und hoch gewachsen, in seinem karierten Hemd und den dunkelblauen Jeans noch immer sehr jugendlich für sein Alter.
Der Großvater parkte direkt vor den Steinstufen, die zum Hauseingang führten. Sie stiegen aus, und die Großeltern eilten strahlend auf Hinrik zu.
»Schön, dass ihr gut angekommen seid«, rief er ihnen entgegen und breitete die Arme aus.
Die Großmutter ließ sich von ihm umarmen und auf die Wange küssen. »Es ist so lange her!«
Elbas Großvater klopfte Hinrik auf die Schulter und schüttelte ihm dann die Hand. »Viel zu lange!«
Ans Auto gelehnt, beobachtete Elba still die herzliche Begrüßung. Die drei lachten und strahlten, sodass ihre Augen vor Freude funkelten. Erneut beschlich sie das unbehagliche Gefühl, nicht dazuzugehören, keinen Platz zwischen all den vertrauten Blicken und Umarmungen zu haben.
Verlegen konzentrierte sie sich auf ihre braunen Schuhspitzen, als Hinrik plötzlich das Wort an sie richtete: »Unsere kleine Elfenkönigin! Wie wunderschön du geworden bist, Elba. Komm nur her – es gibt gar keinen Grund, schüchtern zu sein. Lass dich umarmen, meine Liebe!«
Schon war er bei ihr am Auto und nahm sie lachend in den Arm. Elba war überrascht, wie wohl sie sich dabei fühlte. Sonst mochte sie es nicht besonders, von anderen Menschen umarmt oder berührt zu werden. Aber in diesem Moment war es das Natürlichste auf der ganzen Welt. Es fühlte sich an wie … nach Hause kommen. Alle Anspannung wich aus ihrem zierlichen Körper, sie schmiegte sich an die Brust ihres Onkels und lächelte.
Er drückte sie, ließ sie los und zwinkerte ihr zu. »Lasst uns hineingehen! Ich habe Tee aufgesetzt, und ein Braten schmort schon im Ofen.«
Sie gingen den dunklen Gang entlang, vorbei an dem getäfelten Esszimmer mit seinem riesigen schwarzen Tisch aus Ebenholz, bis sie schließlich in der gemütlichen Küche angelangt waren. Durch das winzige Fenster konnte sich das Tageslicht kaum ins Innere kämpfen. Doch Hinrik hatte überall Kerzen aufgestellt, die den kleinen Raum wohlig warm erhellten. Keine Kerze schien der anderen zu gleichen – sie hatten die unterschiedlichsten Farben und Formen und waren scheinbar willkürlich im Raum verteilt worden.
Die Kücheneinrichtung stammte aus einer längst vergangenen Zeit. Der gusseiserne Herd wurde noch mit Holz und Kohlen beheizt. Den alten kreisrunden Tisch zierte eine selbstgehäkelte bunte Decke. Rustikale, henkellose Keramiktassen warteten schon auf sie.
»Helene, gieß uns doch bitte schon etwas Tee ein, während Edwin und ich das Gepäck aus dem Auto holen«, bat Hinrik die Großmutter.
Elba ließ sich ein wenig zögerlich am Tisch nieder und beobachtete, wie die Großmutter den eisernen Teekessel vom Herd nahm. Als alle vier Tassen gefüllt waren, sah sie ihren Onkel und den Großvater an der Küchentür vorbeigehen. Sie konnte gerade noch einen kurzen Blick auf die Holztruhe erhaschen, welche die beiden an den geschmiedeten Griffen ins Obergeschoss des Hauses trugen.
»Oma, was –«
Weiter kam sie nicht.
»Wo sind Helene und Elba?«, erklang von oben die schwache Stimme von Tante Mattie. »Helene? Meine Lieben, kommt doch herauf!«
Sie ließen den Tee unberührt stehen. Als Elba hinter ihrer Großmutter die düstere Treppe hinaufstieg, beschleunigte sich ihr Herzschlag erneut – als wäre sie auf einer Entdeckungsreise, auf einem aufregenden Abenteuer durch die eigene Kindheit.
Doch da regte sich noch ein weiteres Gefühl in ihr. Eigenartig. Beunruhigend, ohne dass sie es einordnen konnte. Woran das wohl lag? War es dieser Ort, dieses Haus, das diese seltsame Unruhe in ihr auslöste?
Oben angekommen, gingen sie über einen knarrenden Dielenboden an mehreren geschlossenen Türen vorbei, bis sie Tante Matties Zimmer erreichten. Ihre Tür stand als einzige weit offen. Elba hielt die Luft an. Sie hatte noch nie einen Menschen gesehen, der im Sterben lag.
Als sie den großen Raum betraten, seufzte sie erleichtert. Tante Mattie befand sich zwar im Bett, der Großteil ihres schmalen Körpers von Decken verhüllt, aber sie saß aufrecht, an eine Vielzahl weißer Kissen gelehnt, und sie sah eigentlich noch recht lebendig aus.
»Wie schön, dass ihr endlich hier seid!«
Ihr gewelltes Haar, das einmal schwarz gewesen sein musste, war zu einem langen Zopf geflochten. Sie lächelte ihnen entgegen, und das Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster den gesamten Raum erstrahlen ließ, schmeichelte dem Teint ihrer schmalen Wangen.
Elba überlegte, wie alt die Tante inzwischen sein mochte. Irgendwie wirkte sie noch ziemlich jung. Dabei musste sie bestimmt schon an die achtzig Jahre alt sein.
Die Großmutter setzte sich unverzüglich auf den Stuhl neben dem handgefertigten Holzbett. »Mathilda, meine Liebe.«
Elba ergriff die ausgestreckte Hand der Tante und küsste sie schüchtern auf die Stirn.
»Was für eine Schönheit sie ist, Helene. Und dieses lange Haar – traumhaft. Einfach umwerfend!«
Die Worte der Tante machten Elba noch verlegener, als sie ohnehin schon war. Doch als sie in Tante Matties blaugraue Augen blickte, wusste sie, dass die Worte von Herzen kamen. Vielleicht war sie ja wirklich schön? Immerhin hörte sie das heute schon zum zweiten Mal. Sie selbst empfand sich ja besten-falls als ganz süß. Recht passabel, würde man sagen. Eben das sympathische Mädchen von nebenan, das jeder mochte. Aber sich selbst als schön zu beschreiben, das wäre ihr bestimmt nicht eingefallen.
Die Tante drückte ihre Hand und ließ sie dann los, um sich wieder an die Großmutter zu wenden. Es entspann sich eine Unterhaltung über dies und das, den Alltag und die Leute aus der Umgebung.
Elba trat an eines der hohen Fenster. Von hier oben konnte sie die gesamte Gartenanlage überblicken und den langen Schotterweg, der vom Haus zum Horizont führte. Die alten Eichen kamen ihr nun wieder unendlich vertraut vor, und sie begann, die Rosen zu zählen, die vereinzelt auf der Wiese wuchsen. Schon bald sah sie im Geiste wieder sich und Christian zwischen den Bäumen herumtoben.
Ihr Haar wehte im Wind, und die Sonne schien so hell, dass sie am liebsten in ihrem Licht baden wollte. Christian versuchte, sie zu fangen und ihre Hand zu ergreifen, sie selbst stieß ein fröhliches Lachen aus und wich ihm geschickt aus. Ein Stückchen noch, schneller, noch ein Stück weiter, dann konnte sie bestimmt in den warmen See aus Gold springen und davon-schwimmen. Immer wieder drehte sie sich nach Christian um und freute sich, dass er ihr folgte. Sie fühlte sich vollkommen leicht und unbeschwert, und doch spürte sie, dass sie zu lang-sam lief, sich noch mehr anstrengen musste, wenn sie jemals ans Ziel kommen wollte …
Plötzlich wurde Elba aus ihren Gedanken gerissen. Da war doch etwas! Ihr Blick glitt zurück über die Baumstämme, bis sie es sah. Tatsächlich! Da vorn, unter einem Baum, nicht allzu weit vom Haus entfernt. Da stand jemand!
Sie kniff die Augen zusammen. Nein, sie täuschte sich nicht. Eine dunkle Gestalt lehnte an einer der großen Eichen, die Arme locker vor der Brust verschränkt, die Beine lässig über-kreuzt. Ein Mann. Pechschwarzes Hemd, schwarze Jeans. Und er starrte zu ihr herauf.
Er musste bemerkt haben, dass sie ihn entdeckt hatte, denn er neigte ganz langsam den Kopf zur Seite, ohne jedoch den Blick von ihr abzuwenden. Verdutzt starrte Elba von oben zu-rück. Sein Haar war – wie seine Kleidung – kohlrabenschwarz, seine Haut dagegen auffallend hell.
Elba hätte nicht sagen können, wie lange sie einander so an-starrten, bis sie mit einem Mal ihr Herz spürte. Es pochte und pumpte mit aller Kraft das Blut durch ihre Adern. Schweiß bildete sich in ihren Handflächen, Hitze schoss durch ihren Kör-per. Ihr Sichtfeld engte sich ein.
Da nahm sie noch etwas wahr. Am Rande nur, ganz fern. Irgendetwas hatte sich dort draußen verändert. Es war dunkler geworden, und die weißen Rosen …
Die Rosen, alle Rosen, waren plötzlich tiefrot! Sie schienen ihre Farbe verändert zu haben. Nein, wirklich, sie hatten ihre Farbe verändert. Und inmitten der dunkelroten Rosen stand er. Völlig ruhig und regungslos.
Die Hitze in ihrem Körper wurde unerträglich. Ihr Kreislauf schien zu versagen. In diesem Moment hörte sie Tante Mattie. Sie schnappte nach Luft, als drohte sie zu ersticken.
»Großmutter!« Elba fuhr herum. »Uns beobachtet jemand! Und die Rosen … Sie haben die Farbe gewechselt!«
Die Großmutter lief zu ihr ans Fenster. Doch als Elba sich umwandte und wieder in den Garten hinaussah, war alles wie immer. Die Gestalt war verschwunden, die weißen Rosen wiegten sich im sanften Wind, und die Sonne strahlte hell und wach.
Irgendwo da draußen musste er doch sein! Er musste sich hinter einem Baum versteckt haben. 
Mit den Augen suchte sie jeden Winkel des Gartens ab. Kein Mann, keine einzige rote Rose. Sie hörte Tante Matties regelmäßige Atemzüge. Wenigstens hatte die alte Dame sich wieder von ihrer kurzen Atemnot erholt.
»Was ist denn los, Kind? Da ist doch nichts.« Besorgt sah die Großmutter ihre Enkeltochter an. »Ist alles in Ordnung, Schatz?«
Elba holte tief Luft. »Ja, ja, alles in Ordnung. Ich hab mich wohl getäuscht.«
Hatte sie sich das tatsächlich eingebildet? – Wahrscheinlich. Das Haus war voller Erinnerungen an all die Abenteuer in ihrer Kindheit. Kein Wunder, dass die Fantasie mit ihr durchging.
Das war immerhin eine Erklärung. Die andere Erklärung wäre natürlich, dass sie langsam verrückt wurde und nicht mehr zwischen Traum und Realität unterscheiden konnte. Dass sie immer weiter hinabgerissen wurde in die finstere Welt ihrer Träume, und diese sie sogar schon am helllichten Tag verfolgten.
Seit einigen Wochen kamen die Träume fast jede Nacht. Genau genommen war es immer wieder derselbe eigenartige Traum. Elba befürchtete, dass ihre Großeltern schon etwas davon mitbekommen hatten: Sie ahnte, dass sie im Schlaf mehrmals laut geschrien hatte. Die Träume fühlten sich so echt an, so real. Stets wachte sie schweißgebadet auf, und jedes Mal dauerte es ein wenig länger, bis sie sich wieder orientieren konnte. Aber bisher war sie noch nicht dazu bereit, ihren Großeltern davon zu erzählen.
Hör schon auf, Elba, befahl sie sich selbst. Sie drehte sich um, ließ die Großmutter am Fenster stehen und ging lächelnd zu ihrer Tante. Als sie sich auf den Stuhl neben dem Bett sinken ließ, um ein wenig mit ihr zu plaudern, nahm sie sehr wohl wahr, dass ihre Tante und die Großmutter verwunderte Blicke austauschten. Aber sie verloren kein Wort über das, was eben passiert war. Und auch Elba schwieg. Wenn die beiden sich dachten, dass sie nun endgültig verrückt geworden war, wollte sie es zumindest nicht wissen. Noch nicht.
Nach dem Essen beschloss Elba, sich ein wenig auf dem Anwesen umzusehen. Ob sich seit ihrer Kindheit viel verändert hatte? Bei ihrem letzten Besuch war sie höchstens neun oder zehn Jahre alt gewesen.
Die Mittagssonne glühte inzwischen heiß vom Himmel. Elba öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse und schlenderte am Rosenbeet vor dem alten Gemäuer entlang. Von hinter dem Haus hörte sie die Stimmen ihres Großvaters und ihres Onkels. Dort stand eine kleine Scheune, vor der die Männer Holzscheite zerhackten.
Onkel Hinrik blickte auf. »Elba, komm nur zu uns!«
Der Großvater sah sie über die Brillengläser hinweg an und lächelte.
Elba begann, die einzelnen Scheite aufzusammeln und legte sie in einen geflochtenen Korb. Unterdessen unterhielten sie sich über den Schulabschluss und Elbas Pläne für die Zukunft.
»Wie wäre es denn mit einem Praktikum während der Ferien? Dabei könntest du den einen oder anderen Beruf ein wenig kennenlernen«, schlug der Onkel vor.
»Hervorragende Idee«, stimmte der Großvater zu.
Elba hatte sich bisher über ihre Zukunft nicht allzu viele Gedanken gemacht. Trotzdem gefiel ihr die Idee, und die körperliche Arbeit wirkte beruhigend auf sie. Als ein gespaltenes Stück Holz nach dem Axthieb wie lebendig auf Elba zusprang, lachte sie ausgelassen, und all ihre Sorgen fielen Stück für Stück von ihr ab.
Nach einer Weile hörten sie das Geräusch eines schweren Motors und den Klang breiter Reifen auf Schotter.
»Ah«, freute sich Onkel Hinrik, »das muss Christian sein. Er hilft uns mit dem Haus.« Verschwörerisch zwinkerte er dem Großvater zu.
Elbas Herz tat einen kleinen Freudensprung, stockte und hüpfte wieder in die Höhe, als würde es kleine Purzelbäume schlagen. Sie spürte, wie ihre Wangen rot anliefen, als ein gelber Pick-up vor der Scheune zum Stillstand kam. Schwungvoll öffnete sich die Fahrertür, und ein blonder junger Mann kletterte heraus. Christian.
Den Blick nach unten gerichtet, fuhr er sich durch das zerzauste Haar. Dann sah er auf und grinste Elba verschmitzt an.
»Na? Ist die Elfenprinzessin ins Feenreich zurückgekehrt?« Er biss sich auf die Unterlippe und tat sich sichtlich schwer, ein heftiges Prusten zu unterdrücken.
Elba meinte, noch niemals in ihrem Leben so leuchtend grüne Augen gesehen zu haben. Die Farbe war so intensiv und strahlend, dass es aussah, als würden seine Augen tanzen.
»Ich hoffe doch, ihr habt im Reich nach dem Rechten gesehen, Prinz Rotenstein?«, antwortete sie und zog scheinbar entschuldigend die Schultern hoch. Wie albern!
»Ach komm her, Elbarina!«, rief er schließlich, und sie fielen einander lachend um den Hals. Er hob sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum, bis sie beide außer Atmen waren.
»Gut, dass du endlich da bist«, flüsterte er ihr zu und knuffte sie liebevoll. »Elbarina Elfenprinzessin Teofinsen.«
»Christian Prinz Rotenstein Surtsen.« Elba lachte. Jahre waren vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, und doch fühlte es sich an, als wäre es erst gestern gewesen.
Gemeinsam gingen sie los, um durch den verwilderten Garten zu spazieren. Dabei neckten sie sich unentwegt, stießen sich von der Seite an und schubsten sich freundschaftlich.
Bevor sie hinter dem Haus verschwanden, wandte Elba sich noch einmal um. 
Mit der flachen Hand klopfte Hinrik auf Edwins Schulter. »So muss es sein, mein Freund, so muss es sein.« Seine blauen Au-gen lachten fröhlich.
Der Blick des Großvaters blieb hingegen ernst, er runzelte die Stirn und blieb noch eine Weile unbeweglich stehen, bevor er sich mit Hinrik wieder an die Holzarbeit machte. Seinen merkwürdigen Ausdruck, sein Zögern vermochte Elba nicht zu interpretieren. Noch nicht.
Als sie später vergnügt ins Haus zurückkehrte, fand sie die Esszimmertür geschlossen vor. Eigentlich hatte sie der Groß-mutter gleich mitteilen wollen, dass Christian sie für den Abend eingeladen hatte. Er und all seine Freunde hatten am Waldrand eine Feuerstelle vorbereitet, um das Mittsommerfest als Anlass für eine Party zu nutzen.
Erst hatte sie sich geziert, weil sie niemanden kannte, aber schließlich hatte er sie überredet. Ihr war aufgefallen, dass sein Shirt und seine Jeans schon etwas verschlissen waren. Außer-dem musste er bis zum Abend noch arbeiten und bei den Vorbereitungen für das Fest im Dorf mithelfen. Offensichtlich musste er sich sein Geld hart verdienen.
Elba bekam ein schlechtes Gewissen, denn sie hatte noch nie arbeiten müssen, um sich etwas kaufen zu können. Die Großeltern waren nicht eben reich, aber sie versuchten, ihr stets ihre Wünsche zu erfüllen. Und außer ein paar Arbeiten im Haus zu erledigen und zur Schule zu gehen, genoss sie – wie all ihre Freunde – ein sorgenfreies Leben.
Christian hatte schon vor über einem Jahr die Schule abgeschlossen und hielt sich nun mit kleineren Jobs über Wasser. Seine Einnahmen teilte er mit seiner Mutter, mit der er in einem kleinen Häuschen am Rande des Dorfes lebte. Sein Vater war früh verstorben, und so hatten er und seine Mutter immer nur einander gehabt. Dennoch wirkte er glücklich und zufrieden mit seinem Leben.
Sie lauschte. Durch die verschlossene Tür des Esszimmers hörte sie die leisen Stimmen der Großeltern. Auch Onkel Hinriks Stimme konnte sie ausmachen, und sogar Tante Mattie schien bei den dreien zu sein. Elba griff nach der Türklinke, hielt dann jedoch inne. Sie konnte nicht verstehen, worum es ging, sondern nur einzelne Sätze aufschnappen.
»Er wird kommen und sie holen!« Die Großmutter klang besorgt. »Sie ruft seinen Namen schon im Schlaf, Mattie.«
»Er gehört nicht ihr«, wandte der Onkel ein.
»Das weiß sie nicht. Und er weiß es auch nicht«, schaltete der Großvater sich ein.
»Wir müssen ihn vertreiben«, entgegnete der Onkel.
Nach einer kurzen Pause erhob sich Tante Matties müde Stimme: »Das wird nicht möglich sein. Er sucht den Stein. Er wird nicht eher Ruhe geben, bis –«
Elba hörte Schritte, die sich ihr näherten. Wie ein kleines Kind, das unartig gelauscht hatte, lief sie, so geräuschlos sie konnte, zur Haustür hinaus. Als sie die Bäume auf der Wiese erreichte, verlangsamte sie die Schritte.
Was stellst du dich so an, Elba? Das ist doch lächerlich!
Weshalb war sie nicht einfach in das Esszimmer spaziert und hatte rundheraus gefragt, worum es ging? Sie ließ sich unter einem der Bäume nieder, lehnte sich an den dicken Stamm und kramte ihr Handy aus der Hosentasche. Bestimmt hatten sich Hanna und Sophia bereits bei ihr gemeldet.
Tatsächlich! Das Display zeigte fünfzehn ungelesene Nach-richten an. Sie öffnete eine nach der anderen und las, wie bedauerlich es alle fanden, dass sie heute nicht an der Party teil-nahm. Schnell wählte sie Sophias Nummer.
Als sie das gleichmäßige Läuten an ihrem Ohr hörte, blickte sie verwundert auf. Es regnete weiße Blüten von den Bäumen! So viele, dass es den Eindruck machte, es würde Schnee fallen.
Am anderen Ende der Leitung hörte sie Sophias genervte Stimme: »Na endlich, Elba! Wo bist du denn?«
Mit einem Mal glitt ihr das Handy durch die Finger und fiel zu Boden. Da war er wieder! Das schwarze Hemd, die schwarze Hose, die schwarzen Haare. Derselbe Mann, den sie schon vom Fenster aus gesehen hatte, stand an der Ecke vor dem Haus und starrte sie durchdringend an. Wieder hielt er die Arme vor der Brust verschränkt. Fast wirkte er arrogant und überheblich, so gelassen und selbstverständlich, wie er sie taxierte. Etwas Erhabenes umgab ihn. Und etwas Unheimliches.
Langsam stand sie auf. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen, musterte jede ihrer Regungen.
»Elba! Elba Teofinsen! Verdammt noch mal!« Sophias Stimme kreischte aus dem im Gras liegenden Handy.
Elba kümmerte sich nicht darum. Die letzten Blüten segelten von den Bäumen herab. Da verschwand die Gestalt mit einer geschmeidigen Bewegung hinter der Hausecke. Elba rannte los.
In ihrem Kopf erschien das Bild eines schwarzen Panthers. Sie lief auf das Haus zu. Diesmal würde er ihr nicht entkommen! Sie würde beweisen, dass sie nicht verrückt war, dass sie sich das nicht nur einbildete.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. In ihren Ohren rauschte das Blut. Die Arme fest an den Körper gepresst, befahl sie ihren Beinen, so schnell zu laufen, wie sie nur konnten. Doch schon nach wenigen Metern fühlte sie, dass ihr die Puste ausging. Sie würde es nicht schaffen.
Mach schon!, befahl sie sich und rannte dicht an der Hausecke vorbei in Richtung Holzscheune. Verdammt, wo war er?
»He!«, rief sie zornig ins Leere. »Bleib stehen!«
Das durfte ja alles nicht wahr sein! Hatte sie sich das wirklich wieder nur eingebildet? Abrupt stoppte sie, schwankte und kämpfte damit, nicht vornüberzufallen.
Da saß er. Seelenruhig. Auf einem der Baumstümpfe, auf denen ihr Onkel und ihr Großvater Holz gehackt hatten. Lässig. Locker. Und grinste sie unverschämt an, sichtlich belustigt über ihren Auftritt. Jetzt wurde sie richtig wütend. Völlig außer Atem stand sie da, und ihre Wangen glühten.
Und er? Saß einfach nur da – ganz gelassen – und lachte. Die oberen beiden Knöpfe seines Hemdes standen offen, die Ärmel waren bis zur Hälfte des Unterarms hochgekrempelt. Er reckte den Kopf zum Himmel und blinzelte der grellen Sonne entgegen. Elba war sicher, niemals zuvor in ihrem Leben einen so schönen Mann gesehen zu haben. Seine Erscheinung wirkte dermaßen anziehend auf sie, dass es ihr nun völlig den Atem verschlug.
Er zog die rechte Augenbraue hoch, wandte sich ihr zu und begann zu sprechen: »Nun, kleine Miss Ich-krieg-dich-schon, darf ich fragen, warum du mich verfolgst?«
Perplex starrte Elba ihn an. Beim Klang seiner Stimme sauste ein Schwarm Schmetterlinge durch ihren Magen. Bis hinauf in ihren Kopf, wo er ihren Verstand umschwirrte. Ihr Mund öffnete sich einen Spaltbreit, sie brachte aber kein Wort heraus.
Die Farbe seiner Augen war so ungewöhnlich, dass sie ihren Blick nicht abwenden konnte. Sie waren hellblau, schimmerten jedoch beinahe grün – einerseits stechend hoben sie sich deutlich von den tiefschwarzen Pupillen und den schwarzen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen, ab. Andererseits erschienen sie milchig, ja fast durchsichtig. Unwillkürlich musste Elba an zwei blaugrüne kristallene Aquamarine denken, durch die das Sonnenlicht schien. Wie alt mochte er sein? Zwanzig? Fünfundzwanzig?
Sie nahm wahr, dass er eine Hand nach ihr ausstreckte und mit dem Kopf zur Seite deutete. Jetzt erst bemerkte sie das schwarze Auto, das neben der Scheune stand. Seine Handfläche zeigte nach oben, als wolle er sie zum Tanz auffordern. Instinktiv streckte sie ihre Hand der seinen entgegen.
An zwei Fingern trug er große silberne Ringe, was ihm eine gewisse Eleganz verlieh. Magnetisch fühlte sie sich von ihm angezogen. Kurz bevor sich ihre Hände berührten, hörte sie hinter sich ein Donnerwetter.
»Verschwinde!«
Sie wirbelte herum.
»Mach, dass du wegkommst!«, brüllte ihr Großvater.
Noch nie hatte sie ihn so wütend gesehen. Er wirkte riesen-groß, und seine Halsschlagader pochte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Ein langgezogenes »Edwin!« ertönte hinter ihr, sodass sie sich wieder halb umwandte. Amüsiert betrachtete der Fremde den Großvater und ließ ganz langsam die ausgestreckte Hand auf den Oberschenkel zurücksinken. »Komm schon –«
»Hau endlich ab!«, wetterte der Großvater.
Wie ein Schuljunge, der bei einem Streich ertappt wurde, stand der Unbekannte auf und ging zu seinem Wagen. Er bewegte sich geräuschlos auf den schwarzen Buick zu, die Schultern zurückgenommen, das Kinn stolz nach vorn gereckt. Der Wagen war ein Oldtimer, ein 1968er Wildcat. Wieder tauchte der Panther vor Elbas innerem Auge auf.
Geschmeidig glitt er auf den Fahrersitz, der Motor heulte auf, und der Wagen brauste los. Im Vorüberfahren nickte der Fremde dem Großvater zu, schon war der Buick verschwunden.
Fassungslos sah Elba ihren Großvater an. Ihr Hirn begriff nicht, was eben passiert war. Hatte sie etwa vorgehabt, mit diesem Fremden mitzufahren? Wie verrückt! Und dennoch: Fast war sie darüber aufgebracht, dass Edwin dazwischen gegangen war. In gleichem Maße fühlte sie sich beschämt. Als wäre sie bei etwas Intimem, Verbotenem erwischt worden. Sie konnte ihre eigenen Emotionen nicht mehr einordnen.
»Was …?« Sie suchte nach Worten. Doch der Großvater kam ihr zuvor.
»Lass uns hineingehen, Elba. Du bist bestimmt schon hungrig.« Er drehte sich um und ging aufs Haus zu.
Verwundert runzelte sie die Stirn und schüttelte den Kopf. Wie konnte er jetzt vom Essen sprechen? Trotzdem folgte sie ihm ins Haus und trottete widerwillig hinter ihm her ins Ess-zimmer.
Die anderen saßen bereits am Tisch. Wortlos schob die Groß-mutter Elbas Handy zu ihr hinüber. Offenbar hatte sie es unter dem Baum gefunden. Elba war fest entschlossen, nun ein paar Fragen zu stellen.
Letztendlich stellte sich aber heraus, dass alles wesentlich harmloser schien, als sie nach der Reaktion des Großvaters befürchtet hatte. Der Unbekannte war angeblich nur ein reicher »Nichtsnutz und Weiberheld«, wie die Großmutter ihn verächtlich nannte, der sich wohl des Öfteren am Grundstück herumtrieb. Er hege irgendeine besondere Affinität dem Haus gegen-über, was anscheinend mit seiner Familiengeschichte zu tun hatte. Er habe Elbas Tante und Onkel auch schon diverse Ange-bote für den Kauf ihres Anwesens gemacht, jedoch wären sie nicht an einem Verkauf interessiert, schilderten die Großeltern ihr. Seither käme er immer mal wieder vorbei und versuche hartnäckig, sie zum Verkauf zu überreden. Eine einfache Geschichte. Eine alltägliche Angelegenheit.
Alle wirkten zufrieden.
Nur Tante Mathilda sah kein einziges Mal von ihrem Teller auf.

Und hier nun meine Gewinnspielfrage an euch, welche ihr mir bitte per Mail (siehe Mailbutton links) oder über meine Facebook-Seite per PN, zu.


Welchen Spitznamen hat Elbas Freund aus Kindertage ihr gegeben?


Nun noch ein paar Formalitäten:


Wichtiges!!!


> teilnehmen könnt ihr auf meiner FB-Seite Sonnenblümchens Rezensionen (https://www.facebook.com/SonnenbluemchensRezensionen/) und/oder auf meinem Blog, Sonnenblümchens Dreams (http://sonnenblumentraumwelt.blogspot.de/)

> ein kleiner Like für das Gewinnspiel


> hinterlasst einen freundlichen Kommentar, der bitte mehr enthält als „Hüpf in den Los Topf“ (ich denke ihr versteht was ich meine 🙂
)


> ein kleiner Like für meine Facebook-Seite und/oder meinen Blog


> gerne dürft ihr teilen und Freunde markieren



Alles natürlich völlig freiwillig, ich zwingen niemanden zu irgendetwas. Ein Gewinnspiel soll ja Spaß machen und kein Zwang sein.


> Teilnahme ab 18

> Versand nur innerhalb Deutschland, Österreich und der Schweiz


> Facebook und mein Bloganbieter haben mit dem Gewinnspiel nichts zu tun


> die Teilnehmer erklären sich im Gewinnfall einverstanden, dass ihre Namen öffentlich auf meiner FB-Seite Sonnenblümchens Rezensionen und auf meinem Blog genannt wird


> die Gewinner erklären sich einverstanden, dass ich ihre Daten zwecks Gewinnzustellung verarbeite


> für Verlust oder Beschädigung der Gewinne auf dem Versandweg wird keine Haftung übernommen


> Barauszahlung ist nicht möglich

♥♥♥

Ja und das Gewinnspiel läuft bis Freitag den 27. Januar 2017. Danach werde ich schnellstens den Gewinner von der Losfee ziehen lassen und bekannt geben. 
Dann allen viel Glück dabei und dir, liebe Thordis, möchte ich nochmal vielen Dank dafür sagen, dass du diesen Autorentag auf meinem Blog mitgemacht hast.
Grüßle eure Ela

Autor: ela

Ich denke, träume, knipse, lache, lese, schreibe und dabei vergess ich nie meine Lieben. Vielleicht unterhalten wir uns ja hier, ich würde mich auf jeden Fall sehr freuen und wünsche viel Spaß hier auf meinem Blog.

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